Mittwoch, 18. Oktober 2023

Der Wunsch nach Stille

Es ist ja einige Zeit her dass ich die Tagesklinik recht optimistisch verlassen habe. So einiges mit genommen als Stärkung zur Resilienz gegen meine Depression und der damit einhergehenden Angst vor großen Menschenmengen. Gegen das letztere auch nach Möglichkeit mit Vermeidung angehen. Was im Rahmen auch gelang. Bei Feiern Möglichkeiten zum Ausweichen nutzen, um Luft zu haben. Was allerdings im ÖPNV immer schwieriger wurde.

Gleichzeitig passieren Dinge in der Welt die mir unglaublich nahe gehen. Grade wenn Kinder betroffen sind. Dann passieren auch Dinge im persönlichen Umfeld, die weitere Treffer in meiner Seele landen. Und zuletzt stirbt unvermittelt ein Freund und Arbeitskollege. Der mit mir ähnliche Erlebnisse in der Kindheit teilt, im selben Kinderheim war und, natürlich, an Depression litt. Man konnte sich gut besprechen. Man wusste.

Und so ist meine Resilienz im Prinzip immer schwächer geworden. Entglitten, pulverisiert, was auch immer. Es kostet immer mehr Kraft, sich hochzuziehen um das Tageswerk anzugehen. Dadurch kommen aber immer wieder Bilder aus meiner "Kindheit" hoch.

Zum Beispiel: Wie ich mit 12 drei Tage in den Keller gesperrt wurde, mit Hammer und mein krankes Meerschweinchen, Karlchen hieß es, um es zu töten. Am Ende war ich gefühlskalt weil ich wohl zum Selbstschutz alles abgeschaltet hatte was mir schaden kann.

Zum Beispiel: Wie mir der Kopf im Türrahmen eingeklemmt wurde, festgedrückt von meiner "Mutter", damit ihr widerlicher Stecher den nackten Hintern mit einem lederbezogenen Handfeger bearbeiten konnte, bis dieser zerbrach. Der Handfeger, leider nicht der widerliche Stecher. (Übrigens keine Einzelaktion - aber nach Aussage des widerlichen Stechers tat es ihm mehr weh wie mir)

Zum Beispiel: Wie ich eine Woche zur Strafe in mein Zimmer gesperrt wurde. Nackt, ohne Bettwäsche, die Rolladenschnur durchschnitten, damit ich das Rollo nicht hochmachen konnte. Fenstergriff abgeschraubt. Tür verschlossen. 1 mal am Tag Toilettengang, Zweimal was zu Essen. Zur Strafe, weil ich so seltsam war.

Zum Beispiel: Psychische Grausamkeiten. Als Abendessen gab es für mich trocken Brot, wo der Schimmel abgeschnitten war, und Griebenschmalz - die Herrschaften haben sich einen Haufen Schnitzel gemacht und genüsslich vor meinen Augen verspeist. Er war einen abgenagten Knochen im meine Richtung mit den Worten: "Nicht für dich, ist für den Hund".

Das ich natürlich aus diesen keinesfalls Einzelfälle, sondern "Dauerbeschuss", flüchtete versteht sich von selbst. Quasi Vermeidung. Endlich kam ich in eine Kinderheim - natürlich freiwillige Erziehungshilfe. Weil der Junge ja so schwierig ist. Mir egal, Hauptsache da raus. Allerdings ohne irgendeine Ahnung von irgendwas. Meine Flucht waren Bücher. Echtes Leben fand bei mir nicht mehr statt. Mir fehlte, nein, fehlt: Urvertrauen, Gefühl. Ja, selbst bei Liebe wird es schwer - ich habe ja nie wirklich welche erfahren. Um so schwerer war es, als ich meine Frau kennenlernte. Mich darauf einzulassen.

Nun, irgendwie bin ich durchgekommen. Bis alles, was ich unterdrückt und verdrängt habe, wieder hoch kam. Ich denke, mein Problem ist, dass ich aus Bedrängnis, egal was es jetzt ist, nicht mehr einfach abhauen kann. Und dann Entscheidung treffen muss. Oft zwischen Pest und Cholera, wie sich herausstellt. Und dass ich Gefühle bekomme, mich immer falsch zu entscheiden. Dass ich zu oft darauf hoffe, dass es besser ist, endlich tot zu sein. Damit ich endlich allumfassende Ruhe finde. Und das macht mir wiederum Angst. Und damit kämpfe ich halt. Bis zur mentalen Erschöpfung.

Nun ja, diesen Abriss hier schreibe ich auch in der Hoffnung, dass ich ihn irgendwie von der Seele bekommen. Liest wahrscheinlich eh keiner, aber ich habe es wenigstens mal erwähnt.